Kennen Sie Brahms?

Eigentlich wollte Johannes Brahms nur einen Tag bleiben, als er 1877 im damaligen Fischerdorf Pörtschach aus der Südbahn stieg. Dann gefiel es ihm so gut, dass aus dem Tag ein ganzer Sommer wurde, dem noch zwei weitere Sommer folgen sollten. Pörtschach war gerade auf dem Sprung zu einem der mondänsten Kurorte der Monarchie, wo sich das großbürgerliche Publikum mit einer bunten Künstlerschar ein Stelldichein gab. „Hier ist es allerliebst, See, Wald, darüber blauer Bergebogen, schimmerndes Weiß im reinen Schnee, Krebse gibt es massenhaft“, schwärmte Brahms in einem Brief. Der damals 44jährige Komponist war bereits auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Er bezog zuerst eine billige Hausmeisterwohnung im Schloss Leonstain, floh aber in den darauffolgenden beiden Jahren vor den Nachstellungen lästiger Groupies in das gegenüberliegende Krainerhäuschen, wo er ein ganzes Stockwerk mietete. Dass er in aller Hergottsfrühe zum Schwimmen in den See ging, und das auch noch nackt, sorgte für Aufruhr bei den Einheimischen. Frühstück gegen fünf Uhr. Nach einer Morgenwanderung wurde bereits ab sieben Uhr komponiert. Danach Mittagessen im Gasthaus Weißes Rössl und dortselbst Erledigung der Korrespondenz. Abends ließ er sich von örtlichen Potentaten Kärntner Volkslieder vorsingen. Die Atmosphäre muss sehr inspirierend gewesen sein, denn die drei Sommer am Wörthersee zählen zu den fruchtbarsten in Brahms’ Schaffen. Fast alle Werke von Opus 73 bis 79 komponierte er in Pörtschach. Sein Freund Theodor Billroth schwärmte von der hier entstandenen 2. Symphonie: „Das ist ja lauter blauer Himmel, Quellenrieseln, Sonnenschein und kühler, grüner Schatten!“

Der internationale Johannes Brahms Wettbewerb

  • © (c) Arnold Pöschl

Waltraud Arnold steht in ihrem tiptop gepflegten Rosengarten und entschuldigt sich für dessen Verwahrlosung. Durch den Wettbewerb sei sie ein bisschen hinten nach, sagt sie. Seit mehr als 20 Jahren verantwortet die zierliche, pensionierte Englischlehrerin den Internationalen Johannes Brahms Wettbewerb, der jährlich Hunderte höchst talentierte Jungmusiker aus der ganzen Welt nach Pörtschach bringt. In öffentlichen Konzerten stellen sie sich einer hochkarätigen Jury, die spontan öffentlich wertet. „Das Publikum fiebert ab der ersten Runde mit und reagiert auch manchmal mit einem Buh, wenn die Juroren anders urteilen als gewünscht“, erzählt die Musikliebhaberin Arnold. Manche Pörtschacher Preisträger, wie etwa die russische Geigerin Patricia Kopatchinskaja, haben danach Weltkarriere gemacht. Ein Preis beim Brahms-Wettbewerb macht sich gut in einer Musiker-Biografie.


Der Hamburger Wahlwiener Johannes Brahms verbrachte seine Sommerfrischen gerne in Österreich: in Gmunden, Mürzzuschlag und eben in Pörtschach. Und während es in Gmunden eine Brahms-Sammlung und in Mürzzuschlag gar ein ganzes Brahms-Museum gibt, sind in Pörtschach mangels Interesse alle Spuren beseitigt. Dafür strahlt der hochkarätige Wettbewerb weltweit aus. „Ich glaube, wir sind international bekannter als in Pörtschach selbst“, vermutet Waltraud Arnold. Aber daran sei sie selbst schuld, merkt sie in der ihr eigenen Bescheidenheit an: „Ich bin ja eher leutscheu und setze mich nicht gerne in Szene.“ Auftrumpfen liegt ihr tatsächlich nicht. Beim Wettbewerb 2021 sei etwas Schreckliches passiert. Die Landeshauptmann-Stellvertreterin sei plötzlich auf der Bühne gestanden und habe ihr gemeinsam mit der Bürgermeisterin das Goldene Ehrenzeichen des Landes Kärnten verliehen. Man nimmt ihr den Schrecken ab. „Mir wäre lieber, wir würden stattdessen ein bissl mehr Geld für den Wettbewerb kriegen“, fügt die gebürtige Leobnerin hinzu. Seit jeher arbeiten sie und ihr kleines Team ehrenamtlich für den musikalischen Nachwuchs, begleitet von chronischer Raum- und Budgetnot und mangelndem kulturellem Verständnis. Ganz anders in Japan oder Korea: dort schaffen es die Preisträger des Pörtschacher Brahms-Wettbewerbes in die nationalen TV-Nachrichten. Ein japanischer Musikliebhaber ist es auch, der die Preisträger jährlich zum Konzert in die berühmte Suntory-Hall nach Tokyo einlädt. Derselbe Gönner hätte sogar ein Brahms-Museum in Pörtschach finanziert, im Gebäude, in dem sich der Komponist 1878 einmietete. Das fertige Konzept scheiterte zuerst am Pörtschacher Gemeinderat und dann an einem bekannten Waffenfabrikanten, der das Haus zu einem höheren Preis kaufte und abreißen ließ. Auch das großzügige Angebot des Japaners, einen Konzertsaal auf der Pörtschacher Wahliß-Wiese am Ufer des Wörthersees zu errichten, blieb bisher unbeachtet.

 

„Früher habe ich noch Führungen zu den Brahms-Schauplätzen in Pörtschach gemacht“, erzählt Waltraud Arnold, „aber jetzt gibt es nichts mehr zu sehen.“ Auf dem Areal des von Brahms bewohnten, abgerissenen Krainerhäuschens befindet sich jetzt ein Parkplatz namens „Brahms-Parking“. Diese Chuzpe muss man haben. Und das historische „Weiße Rössl“, in dem der Komponist sich so gerne aufhielt, ließ der Investor abreißen und errichtete an seiner Stelle eine weitere Apartmentanlage. Lediglich im Schloss Leonstain steht eine Brahms-Büste. Und auf der Hohen Gloriette, einer Aussichtswarte, kann man auf Knopfdruck Brahms-Musik hören. Das einzige, was Johannes Brahms hier lebendig hält, ist der Brahms-Wettbewerb. Und der hängt in hohem Maße an der Person Waltraud Arnold. Wie es mit dem Bewerb weitergeht, falls sie einmal nicht mehr kann, weiß sie nicht. Sie hofft auf eine Verjüngung oder auf ein Wunder. Wäre doch schade, wenn von Brahms in Pörtschach nicht mehr bliebe als ein gleichnamiger Parkplatz. 

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