Senza Confini

  • © (c) Florian Gebauer

Aus der Küche dringt ein aromatischer Fleischgeruch. „Die Zunge reicht weiter als die Hand“, zitiert Lojze Wieser schmunzelnd seinen ersten Buchtitel, den er sich bei Stanislaw Lem geliehen hat. Auf seinem Herd schmoren seit Stunden Teile eines istrischen Boškarin-Rindes, das der Hausherr selbst verarbeitet hat, in Rotwein und Gewürzen. „Manche Gastrokritiker tun das als Gulaschfleisch ab“, sagt Lojze Wieser, „aber in Wahrheit ist Boškarin fein und würzig und reift auch schneller.“ Wir haben es hier mit einem „Gastrosophen“ zu tun, dem Essen Leib und Seele zusammenhält, aber auch mit einem ausgewiesenen Kulturmenschen, der sein umfassendes Wissen gerne ausführlich teilt. „Brücken sind wichtiger als Vorratskammern“, schrieb der jugoslawische Schriftsteller Ivo Andrić. Lojze Wieser ist ein Brückenbauer. In seinem gastfreundlichen Elternhaus verkehrten Gäste verschiedenster politischer Richtungen und rauften sich trotz heftiger Auseinandersetzungen immer wieder zusammen. So lernte schon der junge Lojze, in dessen Taufschein Alois steht, dass Unterschiedlichkeit nicht gleich heißt, Brücken abzubrechen. Der Kärntner Slowene, der nahe der Drau in Tschachoritsch/Čahorče, zwischen deutscher und slowenischer Kultur aufgewachsen ist, hat zeitlebens viele Konflikte erlebt, inklusive Briefbomben, Morddrohungen und Prozessen.


Sein Lebenswerk ist es, als Verleger die Literaturen Südosteuropas im deutschen Sprachraum bekannt gemacht zu haben. In den 80er Jahren gab es kein einziges Buch eines slowenischsprachigen Autors auf Deutsch. Als damaliger Verlagsleiter des Drava-Verlages (den er später kaufte) brach er mit Karel Prušnik-Gašpers Partisanenroman „Gämsen auf der Lawine“ diesen Damm und hat bis heute in seinen beiden Verlagen etwa 300 Übersetzungen und Sekundärliteratur zu den slowenischen Originalen publiziert. Vor zweihundert Jahren, sagt Lojze, habe jeder zweite Kärntner Slowenisch gesprochen, vor hundert Jahren immerhin noch jeder dritte. Peter Handkes Sprache habe deshalb so einen feinen Klang, weil die slowenische Melodik seiner Kindheit darin gespeichert sei. Die Respektlosigkeiten, die Lojze Wieser als Angehöriger der slowenischen Minderheit selbst erlebt hat, waren ihm Antrieb, slawischen Sprachen ein Podium zu geben, sie zu übersetzen und mit schön gemachten Büchern zu würdigen. Das war im lange konfliktbeladenen, zweisprachigen Kärnten bedeutend, aber auch weit darüber hinaus. Krieg, Nationalismus und Terrorismus haben zwischen Ost und West tiefe Wunden hinterlassen. Durch die Teilung in ein kapitalistisches und ein kommunistisches Europa verschwand das Wissen über südosteuropäische Literaturen in unseren Breiten weitgehend. Lojze Wieser glaubt fest an die heilende Wirkung von Kultur. Literatur könne Grenzen verschieben und dafür sorgen, dass Menschen einander besser verstehen lernen – und auch sich selbst. Nationalismus, sagt der Verleger, sei keine Rettung, sondern schaffe nur immer mehr Minderheiten. Nicht Krieg, wie im Originalzitat von Clausewitz, sondern Kultur solle die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sein: „Kultur ist das Rezept gegen Nationalismus. Widersprüche können nur durch kulturellen Austausch aufgelöst werden. Das Lesen anderer Literaturen sorgt für weniger Fremdheit.“ Das war gerade in Kärnten mit seiner heftig verdrängten slawischen Geschichte ein langer, aber notwendiger Prozess der Selbstfindung.


Lojze Wiesers verlegerischer Weg war durchaus steinig. „Sie werden einen langen Atem brauchen. Seien Sie nicht ungeduldig!“ sagte ihm 1982 der Programmleiter vom Pariser Gallimard-Verlag, und er sollte Recht behalten. Heute sind der beharrliche Verleger Wieser und sein Programm renommiert. Was seinerzeit, als „Jugo“ in Kärnten ein Schimpfwort war, missachtet wurde, ist heute vielfach ausgezeichnet, mit Staatspreisen, Orden und Professor-Titel. Dafür hat es vierzig Jahre und die beiden Verlage „Drava“ und „Wieser“ gebraucht, sowie den umtriebigen Lojze, der weit über eine Million Bücher produziert hat. Die erfolgreichste Serie seines Verlages ist „Europa erlesen“, eine Art literarische Visitenkarte der Regionen mit mittlerweile 240 Bänden. Für den Radiosender Ö1 erfand er die Reihe „Lesen ist Abenteuer im Kopf“. Dass auch das Gesicht des Verlegers Lojze Wieser bekannt ist, liegt an der TV-Serie „Der Geschmack Europas“, in dem er sich in bisher 28 Folgen auf kulinarische Reisen zu den Kochtöpfen des Kontinents begibt und nebenbei auch die jeweiligen Kulturen vermittelt. Die zugehörigen, gleichnamigen Kochbücher wurden mit Weltmeistertiteln versehen. Was ist das Erfolgsrezept? Lojze Wieser: „Es ist die Sehnsucht nach der Vielfältigkeit, aber auch nach dem Heimeligen, das unsere Mütter und Großmütter zu vermitteln imstande waren, gerade weil sie aus dem Mangel und nicht aus dem Überfluss schöpften.“ Reden über Essen macht hungrig. Am Ende unseres Gespräches zeigen sich Lojze Wieser und seine Frau Barbara auch als hervorragende Gastgeber. Es gibt Pasta mit Ragout vom Boškarin-Rind. Wenn das der Geschmack Europas ist, dann möchte ich gerne mehr davon.


Wollen Sie auch mehr davon? Dann empfehlen sich die 3 Bände „Der Geschmack Europas“ oder die zwei Bände „Geschmackshochzeit“, erschienen im Wieser-Verlag. › www.wieser-verlag.com



 

Lojzes persönliche Tipps für Abstecher in den Alpen-Adria-Raum

  • © (c) Helmut Weichselbraun
  • © (c) ORF Landesstudio Kärnten

- Wer nicht allzu weit in den Süden reisen will, fährt nach Ludmannsdorf zum Gasthaus/Gostišče/Trattoria Ogris, wo der Alpen-Adria-Gedanke sprachlich und kulinarisch gelebt wird. Ebenso in Südkärnten beim legendären Mochoritsch mit seinen drei Standorten: der bekannten Griffen-Rast ,
 dem Landgasthaus in Rückersdorf oder dem Mochoritsch-Eck am Klopeiner See .

- Tricesimo (nördlich von Udine): Trattoria da Toso (Via Pozzuolo). Gegrillte Wurst mit Polenta, Pasta, Trüffel…

- Eine gute Autostunde vom Wörthersee entfernt, südöstlich von Bled, befindet sich die mittelalterliche Stadt Radovljica – eine süße Stadt im wahrsten Sinn. Einerseits durch das Schokoladenfestival (Mitte September), andererseits als Hauptstadt der slowenischen Imkerei. Besuchen Sie die aus 1766 stammende Lebzelterei Lectar (Linhart-Platz 2). Vis-à-vis im Bistro Linhart kocht Uroš Štefelin, einer der besten Köche Sloweniens. Ebenso in der Vila Podvin (Mošnje 1a), einem Schloss aus dem 14. Jahrhundert. Herzhafte bodenständige Küche wird in der Gostilna Kunštelj (Gorenjska Cesta 9) serviert, am besten auf der herrlichen Aussichtsterrasse.

- Einige Minuten weiter, in Begunje, kann man zum Ursprung der Oberkrainer-Musik einkehren, ins berühmte Gasthaus Avsenik (Begunje 21). Sperriger ist das Schloss Katzenstein, das von
1941 bis 1945 Gestapo-Haupt­quartier war und heute eine bewegende Gedenkstätte ist.

- Von Krain/Kranj in Richtung Ljubljana kommt man nach Vodice. In der Gostilna Skaručna (Skaručna 20) serviert man extravagante Hausmannskost, von der Stierleber bis Topfenstruklji, von der Rehsuppe bis Polenta.

- Wer eine der weltbesten Köchinnen, Ana Rož, erleben will, muss etwa 2 ½ Stunden Autofahrt investieren und in die Hiša Franko nach Kobarid reisen, ins
Soča-Tal südwestlich des Triglav-Nationalparks. Gekocht wird nur, was aus der Gegend kommt.

- Triest: Buffet da Pepi (Via Cassa di Risparmio 3). Traditionsreiches Bistro nach österreichisch-ungarischer Art. Gesottenes, Schweinskopf, Zunge, Ohren – alles, was das fleischeslustige Schlemmermaul begehrt.

- Grado: Das Zero Miglia (Via Riva Dandolo 22), direkt am Kanal, wird von der Fischereikooperative betrieben, fangfrischer geht’s nicht.

- Fagagna (bei Udine): Casale Cjanor (Via Casali Lini 9). Von vier Schwestern geführter Agriturismo mit typisch friulanischer Küche, etwa Polenta mit Lardo. Sehr freundliches Service, wunderschöne Gegend.

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